"Sind in Luxemburg genügend Arbeitskräfte vorhanden?" François Biltgen au sujet de la Foire de l'étudiant et des perspectives d'emploi dans le secteur des TIC

Eric Hamus: Minister Biltgen, spielt eine richtige Studienorientierung heute mehr denn je eine wichtige Rolle?

François Biltgen: Orientierung ist ein Thema, das mir am Herzen liegt. Vor allem da in dieser Hinsicht bereits Projekte lanciert wurden, als ich noch Arbeits- und Hochschulminister war. Eir Teil dieser Projekte fließt nun in der Maison de l'orientation zusammen. Das Studiendokumentationszentrum Cedies ist zwar dort nicht vertreten - aber nicht, weil wir dachten, es wäre verlorene Liebesmüh, sondern weil wir zuerst abwarten und sehen wollten, was das Bedürfnis der Leute ist, die sich dort informieren. Die Zusammenarbeit mit den Akteuren vor Ort bleibt eng, da der Schwerpunkt auch auf der Orientierung liegen muss.

Eric Hamus: Das Cedies ist auch mehr Informations- als Orientierungszentrum ...

François Biltgen: Dafür sind in der Maison de l'orientation die Adem und der CPOS zuständig. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Cedies ist aber wichtig.

Eric Hamus: In einem Interview, das wir im Rahmen der Reel vor vier Jahren führten, meinten Sie, dass es einen Mangel an Wissenschaftlern in Luxemburg gebe und Sie gerne Studenten für diese Fächer begeistern möchten. Dieses Jahr liegt der Schwerpunkt der Studentenmesse auf den Informations- und Kommunikationstechnologien. Gibt es in diesem Bereich genug Möglichkeiten für Luxemburger Studenten?

François Biltgen: In den sogenannten TIC (Technologies de l'information et de la communication, Anm. d. Red.) sind derzeit 758 Studenten eingeschrieben, die meisten davon in einem Bachelor-Studiengang. Wohin gehen diese Studenten nach abgeschlossenem Studientgang? Sie kommen nach Luxemburg zurück. Deshalb ist es wichtig, dass die Uni Luxemburg über eine technische Fakultät verfügt - auch wenn ich immer wieder unterstreiche, dass es für Studenten wichtig ist, im Ausland Erfahrungen zu sammeln. Allerdings ist es in diesem Bereich besonders wichtig, dass wir die zukünftigen Arbeitskräfte in Luxemburg behalten. Die hiesige TIC-Branche hat nämlich ein Problem: ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auf dem Luxemburger Arbeitsmarkt. So ist es nun mal. In allen Wissenschaften, aber besonders in der TIC-Branche. Wir bauen das E-Business als wirtschaftliches Standbein aus, lotsen Unternehmen nach Luxemburg, doch wir verfügen nicht über genügend einheimische Arbeitskräfte, auch in Zukunft nicht. Doch wäre es zumindest von Vorteil, qualifizierte Luxemburger Studenten in diese Richtung zu orientieren.

Eric Hamus: In den letzten Jahren haben sich zahlreiche internationale Medien aus dieser Branche in Luxemburg niedergelassen: Valve Corporation, Onlive, Microsoft oder Amazon, um nur diese zu nennen. Wird diesen Unternehmen bei den Verhandlungen ans Herz gelegt, bevorzugt Leute aus Luxemburg einzustellen?

François Biltgen: Eher umgekehrt: Es ist meist der ausdrückliche Wunsch dieser Firmen, Leute aus Luxemburg einstellen zu können. Ansonsten müssen Unternehmen wie Amazon zuviele "Expats" einfliegen. Was wir aber tun: Wir versuchen die Unternehmen an die Adem weiterzuleiten. Von sämtlichen Unternehmen, mit denen wir sprechen, hören wir die gleiche Frage: Sind in Luxemburg genügend Arbeitskräfte für uns vorhanden? Ich war vor kurzem in Japan, um bei verschiedenen TIC-Unternehmen erste Schritte einzuleiten. Auch dort wurde wieder sofort die gleiche, erste Frage gestellt. Wir informieren diese Leute, dass Luxemburg über ein gutes Arbeitsbewilligungssystem verfügt, und sie die benötigten "Expats" erhalten, falls sie Japaner bräuchten, um verschiedene Stellen zu füllen. Und wir versichern ihnen, dass wir dabei sind, das Angebot auszubauen. Aber ein Nachteil des Standorts Luxemburg ist immer noch der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.

Eric Hamus: Hier handelt es sich um eine ganz spezifische Qualifikation. Ist es in den Abschlussklassen nicht bereits zu spät, um die Schüler in die richtige Richtung zu orientieren?

François Biltgen: Wir müssten an sich schon früher ansetzen, um junge Menschen für die TIC und andere Wissenschaften zu gewinnen. Auch wenn diese Firmen natürlich nicht nur über technische Posten verfügen. Ich war vor kurzem bei den Researcher's Days, und konnte feststellen, dass Kinder leicht für Wissenschaften zu begeistern sind. Bei den Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren haben wir aber ein Problem. Wir haben nämlich ein großes Angebot für die Schüler von Abschlussklassen. Doch wissen sie in dem Alter meist schon, was sie studieren möchten. Wir müssen in jüngeren Altersklassen ansetzen und den Jüngeren die Möglichkeiten dieser Sektoren aufzeigen.

Eric Hamus: Nun haben sich zuletzt mehrere Gaming-Firmen in Luxemburg niedergelassen - eine Branche, in der ganz bestimmte Qualifikationen gebraucht werden?

François Biltgen: Das stimmt nur bedingt. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass auch diese Unternehmen administratives, logistisches oder kaufmännisches Personal brauchen, das mehrere Sprachen spricht. Das ist auch einer der Gründe, weshalb sich viele dieser Firmen hier niederlassen: unsere Sprachenvielfalt.

Eric Hamus: Kann die Schule keine Ansätze liefern?

François Biltgen: Sehen Sie, der Punkt ist: Es hängt ganz einfach von den einzelnen Schulen ab. Das merken wir auch immer wieder im Rahmen der Foire de l'étudiant. Es gibt Schulen, in denen die Lehrer die Foire gut vorbereiten und die Schüler somit gezielt vorgehen. Wenn ein Direktor und sein Team Interesse zeigen, dann bestehen Möglichkeiten. Wenn nicht, dann nicht. Es gibt noch einen weiteren Unterschied: In den technischen Sekundarschulen ist der Orientierungsgedanke viel stärker vorhanden als im klassischen Sekundarunterricht. Wir können nicht von heute auf morgen alles ändern. Allerdings müssen wir den Schulen mehr als nur eine Möglichkeit anbieten. Aber mehr als den Cedies zu Informationsversammlungen in die Gebäude schicken, können wir nicht tun. Die Orientierung selbst - also herausfinden, was die Fähigkeiten des Einzelnen sind und wo dessen Möglichkeiten liegen - steckt bei uns noch in den Kinderschuhen. Die Maison de l'orientation ist ein guter Anfang. Doch müssen wir die Schüler tatsächlich schon früher als auf IIe, Ire, 12e oder 13e erreichen.

Eric Hamus: Besteht denn keine Möglichkeit, die Orientierung in die Schulprogramme zu integrieren?

François Biltgen: Nun, das ist schwierig, da viele Leute der Auffassung sind, dass die Schule nicht dazu dient, die Schüler auf einen Beruf vorzubereiten. Ich sage aber, dass sie zumindest dazu dienen sollte, die Schüler auf die Berufswelt vorzubereiten. Es ist aber auch eine Mentalitätsfrage: Bei vielen Menschen gilt der "classique" immer noch als gut und der "technique" als schlecht. Wenn wir nun die TIC betrachten, so sind in dieser Branche vorwiegend Menschen mit technischem Background gefragt. Dann müssen wir sagen können: "Du bist auch ein Guter, wenn du auf ,technique' gehst". Und genau das müssen wir den jungen Menschen vermitteln.

Eric Hamus: Die Schule soll nicht auf den Beruf vorbereiten?

François Biltgen: Nun, deshalb sage ich ja, sie soll zumindest auf die Berufswelt vorbereiten können. Schule ist kein Selbstzweck. Und mit einem Sekundarschulabschluss kann man heute in der Berufswelt auch nicht mehr alles machen, was man möchte.

Eric Hamus: Zurück zur Foire de l'étudiant: Wie sehen Sie deren Entwicklung?

François Biltgen: Nun, die Foire de l'étudiant ist eine Erfolgsgeschichte. Allerdings wäre ich noch glücklicher, wenn mehr Schulen die Messe mit ihren Schülern gut vorbereiten würden. Einziger Misston ist, dass wir etwas unter dem Erfolg leiden und es schwierig wird, neue Angebote, sprich Stände, unterzubringen. Vielleicht müssten wir einige andere Angebote etwas zurückschrauben, um die Palette ausweiten zu können. Schön ist, dass immer noch zahlreiche Universitäten vertreten sind. Für die Schüler ist es natürlich interessant, auf der einen Seite mit den Universitäten über Fächer und Programme reden zu können, um sich auf der anderen Seite bei den Studentenvereinen nach den praktischeren Dingen zu erkunden. Es leuchtet ein, dass diese Angebote sich ergänzen. Am Rezept gibt es nichts zu rütteln. Wichtig ist nur, dass mehr Schüler vorbereitet zur Foire kommen und wissen, wonach sie suchen.

Eric Hamus: Ein ganz anderes Thema: Die Regierung arbeitet derzeit an einem Studentenstatut. Können Sie uns Näheres dazu sagen?

François Biltgen: Wir arbeiten an einem Gesetzesprojekt, bei dem ein Teil sich mit dem Studenten befasst. Es handelt sich dabei um die Sozialversicherung von Universitätsstudenten. Ich möchte auf keinen Fall dem zuständigen Minister und seinen Mitarbeitern nahetreten - denn sie haben eine wundervolle Arbeit geleistet: Doch unsere Sozialversicherung stammt noch aus Bismarck-Zeiten. Die Versicherung geht vom Prinzip aus, dass der Versicherte auch arbeitet. Wenn man als Student zehn Stunden die Woche arbeitet, ist man vollständig versichert. Wenn man aber nicht arbeitet, dann fällt man laut dem bestehenden System in die Sparte der Eigenständigen und man muss dementsprechend seinen Beitrag zahlen. Die Diskussionen um dieses Problem haben mir gezeigt, dass wir einfach ein Studentenstatut benötigen. Ein Gesetz, in dem wir niederschreiben, was ein Student ist und das dann auf die verschiedenen Dienstleistungen übertragen. Das vorliegende Projekt ist nicht das Gelbe vom Ei, aber es war der einzige Vorschlag, den der Staatsrat annehmen konnte.

Eric Hamus: Dann wäre noch die Frage nach der Rente und den angerechneten Studienjahren ...

François Biltgen: Ich hätte in dieser Hinsicht einen Vorschlag, den auch die Acel gemacht hat, der allerdings nicht in unser aktuelles Sozialversicherungssystem passt: Anstatt die Studienjahre bis zum Alter von 27 Jahren anzurechnen, sollten wir dem Prinzip des "Lifelong Learning" Rechnung tragen. Bei einem Bachelor werden die entsprechenden Bachelorstudienjahre angerechnet, bei einem Master, die Masterjahre u.s.w.. Denn mit Ersterem fördern wir Faulheit: Wenn wir ein ernstzunehmendes Hochschulland werden möchten, dann müssen wir auch ein Studentenstatut schaffen. In dieser Hinsicht werde ich jetzt die Meinung der betroffenen Studenten-und Jugendorganisationen einholen und dann ein Gesetzesprojekt ausarbeiten. Leider wird es aber noch eine Weile dauern, bis die Uni auch in den Köpfen der Mehrheit der Bevölkerung angekommen ist. Studenten werden immer noch als Kinder angesehen. Doch dem ist nicht so!

Eric Hamus: Zum Schluss ein Wort: Studienbeihilfen.

François Biltgen: Die schriftlichen Plädoyers sind abgeschlossen und wir warten nun auf die mündlichen Begründungen der Parteien und des Generalstaatsanwalts. Meine Sorge bleibt: Wenn die Residenzklausel fällt, dann fällt auch unsere Hochschulpolitik, die auf Mobilität baut. In den Niederlanden ist die Mobilität ein Accessoire zum Ganzen, bei uns ist es genau umgekehrt. Und die Niederlande scheinen bereits dabei zu sein, ihre Mobilität zurückzuschrauben. Dabei kostet sie die Mobilität viel weniger als uns. Sollte die Klausel fallen, müssen wir viel mehr Studienbeihilfen auszahlen als bisher. Und wenn man weiß, dass wir auch eine Uni finanzieren, muss man sich die Frage stellen, ob wir uns das noch alles leisten können. Für Luxemburger Einwohner finanzieren wir die Mobilität, und jenen, die nicht in Luxemburg wohnen, finanzieren wir die Residenz. Es geht hier nicht um die Gleichbehandlung der Grenzgänger, sondern schlicht und einfach um unsere Hochschulpolitik. Andernfalls müssen wir eine große, anonyme Universität aufbauen, durch die wir alle unsere Studenten schleusen. Und dann geht eine der Eigenarten verloren, die wir durch die Mobilität zu fördern versuchen: nämlich dass wir in Luxemburg über Bürger und Arbeitskräfte mit einem breiten Horizont verfügen. Das ist meine Sorge und dafür werde ich kämpfen bis zum Schluss.

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